11/08/2007

Vom Holocaust zum Osho-Tantra

Deutsche Holocaust-Forscher sind Fachidioten. Sie können alle möglichen Daten aufzählen, wissen aber nicht worüber sie sprechen. Für sie ist die Shoah nichts weiter, als ein Forschungsgegenstand, ein Ereignis, über dass man sich ebenso unterhalten kann, wie über das Aussterben der Bäume, den neusten Modetrend oder das Wetter.

Einer der vielversprechendsten Nachwuchswissenschaftler der deutschen Holocaust-Forschung ist Andreas Kilian. Mit Sorgfalt trug er Daten zur Geschichte des jüdischen Sonderkommandos zusammen und leistete einen Beitrag, die Geschichte der Häftlinge zu dokumentieren, die von den Deutschen dazu gezwungen wurden, in den Krematorien von Auschwitz zu arbeiten.

Allerdings behandelt er die Aussagen der Überlebenden in seinem Buch nicht anders, als jede andere Quelle. Ihre Erzählungen werden von Kilian in Kategorien zusammengefasst, aus denen die deutsche Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern der Shoah spricht. Empathie ist dem deutschen Historiker verboten.

Als die Häftlinge des Sonderkommandos zum ersten Mal dazu gezwungen wurden, die Leichen aus den Krematorien zu ziehen, bekamen sie - führt Kilian aus - einen "Eingangsschock". Dieser werde gefolgt von einer "Robotisierung", einem Prozess, der die Häftlinge zu mechanischen Robotern werden lässt, die keine Wahl haben, als den Befehlen der Deutschen Folge zu leisten.

Dass die Berichte von Überlebenden eben nicht in eine Kategorie gezwängt werden können, ist einem deutschen Forscher fremd. Das unvorstellbare, die Arbeit in den Krematorien von Auschwitz, wird in Begriffen gebannt. Damit werden die Aussagen der Überlebenden entwertet: Für Kilian reagierte jeder Häftling nach demselben Muster auf die Arbeit im Sonderkommando. Wie die Überlebenden ihre ersten Tage in den Krematorien beschreiben wird damit irrelevant, denn alle erlebten sie denselben "Eingangsschock". Wozu braucht man ihre Beschreibungen, wenn sie ohnehin alle dasselbe beschreiben?

Seine Homepage nennt Kilian Sonderkommando-Studien und über ein Button, auf dem ein Mikroskop abgebildet ist, kommt man in einen Bereich, in dem die "Forschung" präsentiert wird. Das Mikroskop auf dem Bild gibt das Selbstverständnis des Wissenschaftlers wieder. Er schaut auf die Details und verliert sich so in ihnen, dass er das Gesamtbild nicht mehr vor Augen hat. In seinem Buch legt er einen Schwerpunkt auf Zeit- und Handlungsabläufe. Er rekonstruiert zum Beispiel relativ genau, und soweit es ihm möglich ist, welcher der Häftlinge beim Aufstand des Kommandos an welchem Ort war.

Am Kopf von Kilians Seite prangt ein Bildchen, auf dem das Symbol der SS-Männer zu einem Zeichen für das Sonderkommando umfunktioniert wurde. Neben den Totenschädel hat Kilian einen Davidstern gemalt und die gekreuzten Knochen ersetzte er durch die "Werkzeuge", mit denen die Häftlinge des Sonderkommandos in der Todesfabrik arbeiten mussten.

Wenn wir verstehen wollen, wie ein Deutscher dazu kommt, solche Symbole anzufertigen, müssten wir einen tieferen Blick in die Psyche des Historikers werfen. Da Kilian seinen Job als Holocaust-Forscher jedoch an den Nagel gehängt hat und nun unter dem Namen "Nirava A. Kilian" eine Menge Geld verdient, können wir es getrost aufgeben uns um den Historiker zu kümmern.

Stattdessen wollen wir Kilian selbst zu Wort kommen lassen. Er bietet mittlerweile Seminare an, in denen man lernt, ein "Ja zur Liebe, Sexualität und Spiritualität" auszusprechen. Kilian hat sein Tantra entdeckt und hat den Weg zum Guru eingeschlagen:
Unsere Seminare bringen dich nicht nur zu mehr Lust und schönerer Sexualität, sondern sie geben dir auch neue Visionen einer Liebesbeziehung, der beruflichen Bestimmung, der Gesundheit und des finanziellen Wohlstandes.
Für seinen neuen Job bei "EroSpirit®-Hessen" hat Kilian ein Motivationsschreiben verfasst, in dem er seine Stellung als Sexualberater in den Kontext seiner Lebensgeschichte und seiner Suche nach Antworten stellt. Dabei erfahren wir - ohne es zu wollen - auch etwas über den Historiker:
15 Jahre lang beschäftigte ich mich zudem intensiv wissenschaftlich und spirituell mit den dunkelsten Kapiteln der Themen Tod, Massenvernichtung und Schuld. Im Mittelpunkt meines Interesses stand stets der Mensch: sein Leben und Überleben in Extremsituationen, die daraus resultierenden Traumatisierungen sowie seine vielfältigen, scheinbar unvereinbaren und oftmals nur schwer verständlichen Verhaltensformen.
Nicht von den "Zeugen aus der Todeszone", den wenigen Überlebenden des Sonderkommandos, handelt Kilians Buch, sondern sein "Thema" war immer die eigene Beschäftigung mit "Tod, Massenvernichtung und Schuld". Die Aussagen der Überlebenden dienen als Studienobjekt für die "Verhaltensformen" des "Menschen".

Da sich der Historiker jedoch erledigt hat, wollen wir uns zurücklehnen und Kilians neue Prosa genießen. Das erheiternde an seinen Texten ist, dass Kilian sich das Image eines Spinners gibt. Aber wer tut das nicht, wenn Bezahlung und Sexualleben stimmen:
Einen geradezu positiven Ausgleich zum Grauen menschlicher Grenzerfahrungen stellte schließlich mein Interesse an den östlichen Liebeskünsten, der Sexualtherapie und Beziehungsarbeit (John Gray, Chuck Spezzano, Victor Chu, David Deida) her. Im Jahre 1996, während meines Studiums der Neueren Geschichte und Germanistik, wurde mein Interesse am Taoismus und an der Erkundung meines Innenlebens geweckt. Ein Jahr später wurde mit Oshos Schriften und seiner Interpretation von Tantra als Transformation von Liebe in Meditation der Grundstein für meinen spirituellen Aufbruch und tantrischen Lebensweg gelegt. Vom "Herz der Finsternis", wie einst Kapitän Marlow in Joseph Conrads gleichnamigen Roman auf der Suche nach sich selbst, bewegte ich mich schließlich entschieden zum "Herz des Lichts", der Liebe, mit Friedrich Nietzsches Erkenntnis im Bewusstsein: "Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse". Eben jene absichtslose Liebe ist der Treibstoff meines Handelns. In der Sexualität und im Tantra als Pfad der totalen Hingabe habe ich den Weg gefunden, der mir die tiefste und lebendigste Form der Selbsterforschung ermöglicht. Dabei hat mich vor allem Oshos Vorstellung vom menschlichen Körper als "Erscheinungsform sexueller Energie" geprägt.

Mein Interessenschwerpunkt verlagerte sich im Laufe der Jahre folglich von der Geschichts- und Traumaforschung zur Paar-, allgemeinen Lebens- und Sexualberatung. Besondere Bedeutung gewannen für mich hierbei die Fragen nach Lebenssinn, Bestimmung und Berufung vor dem Hintergrund der klassischen Visionsarbeit.

Angefangen von der pädagogischen Betreuung internationaler Gruppen aus der Erwachsenen- und Jugendbildung, der multikulturellen und interreligiösen Begegnungsarbeit, der Betreuung und dokumentarischen Befragung von hunderten traumatisierten Zeitzeugen der Täter- und Opferseite jüngerer deutscher Geschichte, der pädagogischen und wissenschaftlichen Begleitung von Jugendlichen in historischen Ausstellungen und Gedenkstätten, über meine Tätigkeiten im Journalismus und in der Medizin-Branche, meiner Verantwortung als leitender Angestellter und Geschäftsführer-Assistent bis hin zur Körperarbeit durch Massagen, führte mich mein Weg bisher über zahlreiche Höhen und Tiefen zu meiner Bestimmung als selbstständiger Tantra-Lehrer.
Es ist das Beste, was passieren konnte. Kilian hat seinen positiven Ausgleich gefunden und hört auf, Bücher über die Shoah zu schreiben. Stattdessen bringt er anderen Leuten bei, wie Sex mehr Spass machen kann und tut damit - je nachdem, wie erfolgreich seine Seminare sind - sogar etwas gutes.

Vielleicht sollte die gesamte deutsche Historikerzunft lieber ihrem Tantra folgen, als irgendwelchen Forschungsvorhaben. Die Welt wäre mit Sicherheit ein besserer Ort.

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