"Die eigenen Geheimdienste", erklärt man in München, "kommen US-Präsident Bush in die Quere: Nach dem neuen Bericht der Geheimdienste dürfte es Washington schwer fallen, noch Unterstützer für Sanktionen gegen Teheran zu finden."
Tatsächlich hat das Büro des Nationalen Geheimdienstdirektors (ODNI) heute einen Bericht veröffentlicht, in dem davon ausgegangen wird, der Iran hätte sein Atomwaffenprogramm bereits im Jahr 2003 eingestellt.
Bevor man jedoch erleichtert darüber aufatmet, dass es sich beim iranischen Atomprogramm lediglich um einen Irrtum gehandelt haben soll, ist es angebracht, einen genaueren Blick in das Dokument selbst zu werfen. Dort heißt es gleich zu Beginn:
We use phrases such as we judge, we assess, and we estimate—and probabilistic terms such as probably and likely—to convey analytical assessments and judgments. Such statements are not facts, proof, or knowledge. These assessments and judgments generally are based on collected information, which often is incomplete or fragmentary. Some assessments are built on previous judgments. In all cases, assessments and judgments are not intended to imply that we have “proof” that shows something to be a fact or that definitively links two items or issues.Es handelt sich also zunächst einmal um eine Einschätzung, nicht um tatsächliches Wissen. Es ist durchaus möglich, dass die Mullahs trotzdem dabei sind Bomben zu bauen. Während man nämlich beim US-Geheimdienst mit "hoher Sicherheit" davon ausgeht, dass das Nuklearwaffenprogramm - das heißt: die Entwicklung von Atomwaffen, nicht die Entwicklung von Atomenergie - tatsächlich im Jahr 2003 ausgesetzt wurde:
We judge with high confidence that in fall 2003, Tehran halted its nuclear weapons program...Ist man sich beinahe eben so sicher, dass die Mullahs es trotzdem darauf abgesehen haben Atomwaffen zu entwickeln:
...we also assess with moderate-to-high confidence that Tehran at a minimum is keeping open the option to develop nuclear weapons.Dies wird immer wieder aufs Neue betont:
DOE and the NIC assess with only moderate confidence that the halt to those activities represents a halt to Iran's entire nuclear weapons program.Eigentlich sagt der Geheimdienstbericht rein gar nichts aus: Immer wieder hat man es mit einem "möglicher Weise", "vielleicht" oder "wahrscheinlich" zu tun. So ist es eben mit solchen Informationen: Man kann nicht wirklich einschätzen, wie zuverlässig sie sind.
Sicher ist, dass man beim US-Geheimdienst davon ausgeht, dass Teheran sein Waffenprogramm - nicht sein Atomprogramm! - aufgrund amerikanischen Druckes auf Eis gelegt hat:
Deshalb ist nicht verständlich, was der ganze Wirbel überhaupt soll: Das Nuklearprogramm ist erst Voraussetzung dafür, Atomwaffen entwickeln zu können. Die Mullahs müssen ohnehin so lange auf den Bombenbau warten, bis sie genug angereichertes Uranium zu ihrer Verfügung haben. In der Zwischenzeit behauptet man in Teheran einfach, es handele sich um ein ziviles Programm und stellt in aller Ruhe weiter das Material für Atombomben her:We judge with high confidence that the halt, and Tehran’s announcement of its decision to suspend its declared uranium enrichment program and sign an Additional Protocol to its Nuclear Non-Proliferation Treaty Safeguards Agreement, was directed primarily in response to increasing international scrutiny and pressure resulting from exposure of Iran’s previously undeclared nuclear work.
We assess centrifuge enrichment is how Iran probably could first produce enough fissile material for a weapon, if it decides to do so. Iran resumed its declared centrifuge enrichment activities in January 2006, despite the continued halt in the nuclear weapons program. Iran made significant progress in 2007 installing centrifuges at Natanz, but we judge with moderate confidence it still faces significant technical problems operating them.Umso mehr man von dem vielzitierten Bericht gelesen hat, umso mehr fragt man sich, was das ganze eigentlich soll. Während behauptet wird, es hätte im Jahr 2003 eine Entscheidung gegeben, das Atomprogramm auszusetzen, wird gleichzeitig erklärt, der Iran habe selbstverständlich ein Interesse daran, an die Bombe zu gelangen und jede politische Entscheidung Teherans gegen Atomwaffen sei eben auch wieder zu revidieren.
We assess with moderate confidence that convincing the Iranian leadership to forgo the eventual development of nuclear weapons will be difficult given the linkage many within the leadership probably see between nuclear weapons development and Iran’s key national security and foreign policy objectives, and given Iran’s considerable effort from at least the late 1980s to 2003 to develop such weapons. In our judgment, only an Iranian political decision to abandon a nuclear weapons objective would plausibly keep Iran from eventually producing nuclear weapons—and such a decision is inherently reversible.Und vermutlich, so lautet die überraschendste Erkenntnis des ODNI-Berichts, entwickeln die Iraner ihre Waffen ohnehin im Geheimen und "wahrscheinlich" seien solche verdeckten Anlagen eben nicht mehr in Betrieb:
We assess with moderate confidence that Iran probably would use covert facilities — rather than its declared nuclear sites — for the production of highly enriched uranium for a weapon. A growing amount of intelligence indicates Iran was engaged in covert uranium conversion and uranium enrichment activity, but we judge that these efforts probably were halted in response to the fall 2003 halt, and that these efforts probably had not been restarted through at least mid-2007.Da am laufenden Band betont wird, dass sich alles nur um eine Frage von Wahrscheinlichkeiten handelt, fragt man sich am Ende des Berichts, weshalb man den ganzen Scheiss überhaupt gelesen hat. Aus dem Bericht geht lediglich hervor, dass die Mullahs "vielleicht" bis Mitte 2007 den militärischen Teil des Atomprogramms eingestellt haben, um andere Staaten zu beruhigen und einen propagandistischen Erfolg zu erzielen.
Gleichzeitig gibt es jede Menge Gründe für die Annahme, dass die Leute beim ODNI einfach falsch liegen. Eine der geheimen Anlagen, die es angeblich nicht mehr geben soll, befindet sich zum Beispiel sehr zuverlässigen Informationen zufolge seit zwei Jahren in Planung und wurde anfang Oktober vom Nationalen Widerstandsrat des Iran enttarnt.
Auch in Israel ist man der Meinung, dass die amerikanische Intelligence Community falsch liegt:
Defense Minister Ehud Barak said that Iran is continuing in its efforts to produce a nuclear bomb despite the report. According to the minister, Iran had indeed stopped its program four years ago but has since renewed it.In response to Israeli speculation that the report's findings would weaken American-backed support for military action against Iran, Barak emphasized that the issue of its nuclear program was still relevant.
Und nocheinmal: Das Dokument aus den USA sagt nichts. Es gab "wahrscheinlich" eine Unterbrechung des Atomwaffenprogramms, aber eben nicht des Atomprogramms. "Vielleicht" ist das "Waffenprogramm" immer noch unterbrochen, "vielleicht" aber auch nicht und ganz "vielleicht" haben die Mullahs die ganze Zeit Atomwaffen produziert.
Die Meldungen, die aus Teheran kommen sind weiterhin erschreckend: Da wird so nebenbei eine Rakete entwickelt, die angeblich eine Reichweite von 2000 Kilometern haben soll und mit der sich nukleare Sprengköpfe tragen lassen. Das Nuklearprogramm macht enorme Fortschritte und Ahmadinedjad protzt, der Iran werde nicht vom Atomprogramm abrücken. Gleichzeitig weigert man sich in Teheran konsequent, alle Daten über die nuklearen Ambitionen offen zu legen.
Weshalb man in den USA einen solch nichtssagenden Bericht veröffentlicht, der nicht nur höchst zweifelhaft ist, sondern tatsächlich dazu beiträgt, die eigene Politik zu untergraben, möchte ich nicht verstehen. Den Leuten beim ODNI muss von vornherein klar gewesen sein, dass nicht nur die alten Europäer, sondern auch der Iran euphorisch reagieren würde. Ob man in den USA tatsächlich daran glaubt, dass Ahmadinedjad keine Atombomben entwickeln möchte, ob es den Geheimdiensten darum geht, die Politik der Bush-Regierung zu unterwandern (wie einige Leute annehmen) oder ob man sich in Washington mit einem nuklearen Iran abgefunden hat, vermag ich nicht zu sagen.
Beängstigend ist die Situation allemal: Wenn man in den USA offiziell erklärt, dass es im Iran kein Atomwaffenprogramm gibt, nimmt man sich auch die Möglichkeit militärisch einzugreifen. Deshalb freut man sich auch im Iran und im alten Europa so sehr über den amerikanischen Geheimdienstbericht. Die Hoffnung, dass US-Truppen dem iranischen Nuklearprogramm ein Ende bereiten, dürfte damit in weite Ferne gerückt sein. Offenbar wird dem Staat Israel im Ernstfall nichts anderes übrig bleiben, als diesen Job zu übernehmen.
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