11/28/2007

Ausgewogenheit und "Kritik"

Jeder möchte gerne "kritisch" sein. Da die meisten Leute die Bedeutung des Wortes "Kritik" nicht begreifen wollen, hat sich durchgesetzt, dass man unter "Kritik" nichts anderes versteht, als "Ausgewogenheit". Wer ausgewogen ist, der schlägt sich auf keine Seite, steht über allem und ist eben irgendwie "kritisch".

Zu welchem Ergebnis dieses Missverständnis führen kann, stellt die neuste Ausgabe des Economist unter Beweis. Was sich dort unter der Überschrift: "Iran - They think they have right on their side" als Kritik an den Mullahs verkauft, ist tatsächlich eine unglaubliche Verharmlosung des Regimes in Teheran. Das Wörtchen "they" bezieht sich nämlich nicht, wie man annehmen würde, auf die Unterstützer des iranischen Staates, sondern bezeichnet ganz ausgewogen auch die USA:
On different scales, both Iranians and Americans tend to take an imperial view. Both governments demonise the other. They use past resentments to reap political rewards by looking tough.
Was man der Artikel vergisst zu erwähnen, ist der Umstand, dass abweichende Meinungen im Iran unter Todesstrafe stehen und dass die Bevölkerung brutal unterdrückt wird, während es in den USA sogar erlaubt ist, den Economist zu lesen. Dem Widerstand im Iran zu unterstellen, er hätte es eigentlich auf die Bombe abgesehen, ist ebenso absurd, wie zu behaupten, die Friedensbewegung wolle Ahmadinedjad davon abhalten, an Atomwaffen zu gelangen.

Aber der Vergleich wird weiter vorangetrieben:
In some respects, those leaders are oddly similar. George Bush and Mahmoud Ahmadinejad are both deeply religious, referring frequently to God's guiding hand. Both are idealists rather than pragmatists, and skilled at folksy populism. Both have replaced dozens of competent officials with like-minded conservatives. And both are now considered, by a large slice of their countrymen, to be bungling and dangerous. The difference is that it has taken Mr Ahmadinejad just two years in power to achieve the unpopularity Mr Bush has gained after six.
Der Unterschied ist der, dass Ahmadinedjad tatsächlich gefährlich ist. Auch wenn Georgie Boy sich hin und wieder aufs Christentum beruft, kann man ihm nicht unterstellen seine Politik einzig mit der Bibel zu begründen. Der Irakkrieg wurde nicht legitimiert, indem Hussein als Antichrist denunziert wurde, sondern mit dem Charakter des irakischen Regimes und Weapons of Mass Destruction (die bis heute nicht gefunden wurden). Und die andere Wange hat er Al Qaida nach 9/11 glücklicher Weise auch nicht hingehalten.

Im Gegensatz dazu, sind die Mullahs tatsächlich der Meinung in einem Gottesstaat zu leben, der die Gesetze Allahs befolgt - und das stellen sie unter Beweis wenn sie öffentliche Steinigungen veranstalten, Hände abhacken und Atombomben bauen. Der Islam gebietet Ahmadinedjad nicht nur die Ermordung der Juden, sondern auch den Kampf gegen die USA und alle anderen Imperialisten.

Da man beim Economist "kritisch" ist, kann man eingestehen, dass es ein paar Unterschiede zwischen den USA und dem Iran gibt:

There are differences, of course. Mr Bush may be accused of curtailing civil liberties in pursuit of his war on terror. But his government does not drag women off the streets for maladjusting hijabs, the obligatory covering of head and shoulders, or jail student activists as dangers to national security or smear political opponents as traitors or muzzle their speech.

On the other hand, Mr Ahmadinejad may be bombastic but he has not implied he may bomb America—and could not, even if he wanted to. Oceans and an unparalleled armoury separate America from any conceivable enemy, except small bands of terrorists.
Das ist so dumm, wie banal: In den Vereinigten Staaten gibt es keinen Tugendterror weil es sich um eine Demokratie handelt. Im Iran gehört dies zur alltäglichen Praxis, weil es ein islamistischer Gottesstaat ist.

Wäre George W. Bush tatsächlich so religiös, wie man beim Economist glaubt, würde er sich mit Sicherheit nicht damit zufrieden geben, ab und zu auf christiliche Werte zu verweisen. Im Gegensatz dazu, zeigt der Umstand, dass Ahmadinedjad nie behauptet hat, die USA zu bombardieren seinen Realismus. Das bemerkt man auch beim Economist: Der Iran ist eben nicht dazu in der Lage, mit seinen Raketen über den Atlantik zu schießen. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Vereinigten Staaten seit der Revolution als das absolute Böse, der große Satan, dargestellt werden und dass der Slogan: "Tod den USA" von staatlichen Demonstrationen im Iran nicht wegzudenken ist.

Diese Art von Ausgewogenheit und falscher "Kritik" ist nichts anderes, als eine Verharmlosung des Regimes in Teheran und ist damit als Parteinahme zu verstehen.

Man wünscht sich, dass es in den Redaktionen US-Amerikanischer Zeitungen anders zugeht, als in den Büros von Ahmadinedjads europäischen Helfern. Für den Economist scheint dies jedoch nicht zu gelten.

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