3/13/2008

Verflogener Zauber

Persönliche Erfahrungen habe ich mit französischem Antiamerikanismus nicht wirklich gemacht. Allerdings weiß ich, dass die Vereinigten Staaten in ganz Europa nicht sonderlich beliebt sind und wie man in Frankreich über die Amis denkt lässt sich ja immer wieder in der Zeitung nachlesen.

Ende dieses Monats fahre ich nach Paris. Auf diese Reise bereite ich mich jetzt schon vor, indem ich einige Reiseführer lese. In einem veralteten Dumont Reisetaschenbuch aus dem Jahr 2002 heißt es unter der Überschrift "Musik":
Die nationale Widerstandskraft gegenüber der amerikanischen Kulturinvasion gilt wie für das Kino auch für die Musik: Dazu, dass etwa die Hälfte der verkauften CD's und Kassetten aus französischer Produktion stammt, hat die Quotenregelung für die Radiosender (40% Anteil französischsprachiger Musik) sicherlich beigetragen.
Ob hier die Franzosen oder die Dumont-Schreiberlinge eine "Kulturinvasion" herbeihalluzinieren, sei einmal dahingestellt. Die Tatsache, dass französische Musik durch eine Quotenregel geschützt werden muss, spricht eigentlich für den guten Geschmack der Franzosen. Zumindest mir geht es so, dass mir die kulturimperialistische US-Musik besser gefällt, die deutsche Dickebackenmusik und auch wenn ich französischen Chansons einen gewissen Charme nicht absprechen kann, wird man doch bescheuert dabei, wenn man das Zeug ausschließlich hört.

Meine erste bewusste Begegnung mit deutschem Antiamerikanismus wurde gewissermaßen über Frankreich vermittelt. Ich muss noch sehr jung gewesen sein, als in der Nachbarschaft meiner Eltern dieses Lehrerehepaar wohnte, das ein Fable für die französische Kultur besaß. Die Beiden waren sehr stolz darauf französisch zu sprechen und hatten das ganze Haus mit Plastikeifeltürmen ausgestattet, deren psychoanalytische Bedeutung ich hier lieber nicht kommentieren möchte. Ich erinnere mich nur sehr ungenau an den Vortrag über die Vorzüge der französischen Sprache, den ich damals zu hören bekam und weiß nur noch, dass ich mit einem langen und langweiligen Redeschwall konfrontiert wurde, der mich kein bisschen interessierte. Verwundert hat mich damals vor allem, dass es gar nicht so sehr um Frankreich, sondern vielmehr um die USA ging, wo es an den hervorragenden französischen Gepflogenheiten mangele. "Die" Amis, so lautet das einzige "Argument", an dass ich mich erinnere, seien kulturlose barbaren, weil sie ihren Rotwein in den Kühlschrank stellen würden. Soetwas tut man in Frankreich natürlich nicht, weil man dort weiß, dass ein richtiger Bordeaux in Zimmertemperatur genossen werden muss.

Dieses Gespräch muss Anfang der 1990er Jahre stattgefunden haben und wie bei dem Dumont-Reiseführer fällt es schwer zu entscheiden, ob die beiden nachplapperten, was ihnen in einem Frankreichurlaub erzählt worden war oder ob sie selbst auf die Idee gekommen waren, französische Kultur gegen amerikanische Unkultur zu setzen.

Da die USA im gesamten alten Europa verhasst sind, ist es nicht weiter verwunderlich, dass man die Amis in Frankreich tatsächlich nicht leiden kann:
Der Antiamerikanismus ist in Frankreich weit stärker ausgeprägt als in jeder anderen westlichen Industrienation, wie man unter anderem daran festmachen kann, dass nach den Attentaten vom 11. September etwa zwei Drittel der Franzosen der Überzeugung waren, Amerika sei für den Terrorangriff mitverantwortlich. Die USA sind für eine Mehrheit der französischen Bevölkerung der Inbegriff eines menschenverachtenden Kapitalismus; sie bereichern sich täglich auf Kosten der Armen im eigenen Land und in der Welt, die deswegen immer ärmer werden; sie wollen als Weltgendarm alleine die Welt beherrschen; sie sind egoistisch und kümmern sich nur um die eigenen Interessen;sie sind kriegslüstern und zerstören obendrein die Umwelt; sie begrenzen die Freiheit durch Zensur und die Einschränkung demokratischer Rechte; sie sind gewalttätig wie ihre Bevölkerung, und sie sind unkultiviert, versuchen aber, dem Rest der Welt ihre banale Kultur mit Gewalt aufzuzwingen.
Frankreich hingegen verkörpert für dieselbe Bevölkerungsgruppe Freiheit, Demokratie, Menschlichkeit und Kultur.
Für den gebildeten deutschen Antiamerikaner bietet Frankreich deshalb den idealen Bezugspunkt, denn im Gegensatz zu Deutschland, wo die letzten Intellektuellen von den Nationalsozialisten vertrieben wurden, ein Umstand, der sich noch heute bemerkbar macht, findet dort eine rege Diskussion über die Kulturlosigkeit der Amis statt, die ein geistiges Niveau besitzt, zu dem man in Deutschland nie fähig sein wird. Hier hat man seinem Hass schon immer etwas direkter freien Lauf gelassen und so beschränken sich selbst die so genannten Intellektuellen darauf, die USA immer wieder ganz direkt mit den Nationalsozialisten zu vergleichen.

Hat man im Deutschland der 1980er hat man das Ende der Schonzeit des Schonbezirks für Juden erklärt, behauptet der französische Außenminister nun, "der Zauber"der USA sei verflogen. Nicht, dass das dasselbe wäre, aber es zeigt den feinen Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland. In der Seine-Metropole drückt man sich etwas vornehmer aus, wenn es darum geht seinem alt-europäischen Ärger Luft zu machen, als dort, wo man Barbaren wie Sigfried zum kulturellen Erbe der Nation zählt:
Bernard Kouchner, the foreign minister of France and a longtime humanitarian, diplomatic and political activist on the international scene, says that whoever succeeds President George W. Bush may restore something of the United States' battered image and standing overseas, but that "the magic is over."

[...]

Asked whether the United States could repair the damage it has suffered to its reputation during the Bush presidency and especially since the 2003 U.S.-led invasion of Iraq, Kouchner replied, "It will never be as it was before."

"I think the magic is over," he continued, in what amounted to a sober assessment from one of the strongest supporters in France of the United States.

U.S. military supremacy endures, Kouchner noted, and the new president "will decide what to do - there are many means to re-establish the image." But even that, he predicted, "will take time."
Erst wenn es gegen die Juden geht, verliert die französische Sprache ihren Zauber:
In a wide-ranging conversation with Roger Cohen of the International Herald Tribune at the launch of a Forum for New Diplomacy in Paris, Kouchner on Tuesday also held out the hope of talking with Hamas, the Palestinian faction that rules the Gaza Strip but has been ostracized by the West and by its Palestinian rival, Fatah, because it opposes peace talks with Israel and denies that Israel has a right to exist.
Weshalb Kouchner nicht vom "Ende der Schonzeit" für Israel gesprochen hat ist mir ein Rätsel. Zumindest hätte er damit einen sprachlichen Coup gelandet. Sein Französisch wäre an Schönheit kaum zu überbieten gewesen, hätte er den Terminus "période de fermeture de la chasse" benutzt.

Update:
Wer daran interessiert ist, wie es um die französischen Weinbauern steht und woran es liegen könnte, dass sie die Vereinigten Staaten für ihr Unglück verantwortlich machen, sollte bei Gudrun Eussner vorbeischauen und diesen Text lesen.

2 comments:

Anonymous said...

Vielleicht interessiert in diesem Zusammenhang mein Artikel über Olivier Pithon. Er ist aufschlußreich.

Liebe Grüße!
Gudrun

Leonard Zelig said...

Danke für den Hinweis! Ich habe den Link an meinen Text angehängt.