6/20/2009

Berichte und erste Einschätzungen der heutigen Proteste im Iran

Im Iran finden nun seit etwas mehr als vier Stunden Proteste statt. Die zentrale Demonstration am Enghelab Platz sollte um 16 Uhr stattfinden.

Nachdem Khamenei die Demonstrationen verboten und jeden Widerstand als einen Angriff auf die Islamische Republik gebrandmarkt hat, war von vornherein klar, was heute zu erwarten sein würde. Der religiöse Staat wird versuchen die Proteste gewaltsam zu unterdrücken.

Über Twitter und andere Seiten, die lediglich unzuverlässige Informationen geben, lässt sich Folgendes erfahren:

Die Polizei und Bassidj-Milizen versperren den Zugang zu den wichtigsten Plätzen der Stadt.

Etwa um halb 16:30 Uhr kommt zu den ersten Zusammenstößen. Polizei und Bassidj-Milizen greifen Demonstranten an, die sich auf der Azadi-Strasse (die auf den Enghelab-Platz führt) versammelt haben. Tränengas und Wasserwerfer kommen zum Einsatz, um die Demonstranten auseinanderzutreiben. Es kommt zu ersten Festnahmen.

Die Proteste verteilen sich auf mehrere Orte, an denen es zu Straßenschlachten kommt. Die Polizei schlägt willkürlich auf Passanten und Demonstranten ein. Es wird in die Luft geschossen.

Die Demonstranten rufen "Tod Khamenei!" und werfen Steine.

Gegen 18:00 Uhr kommt es angeblich zu einer Explosion am Khomeini-Mausoleum. Einige Leute behaupten, es handele sich um einen Anschlag der Regierung um die Demonstrationen zu delegetimieren. Man liest auch, es handele sich um einen Selbstmordattentat, der von den Mudschahedin Khalq verübt worden sei. An anderer Stelle wird nahegelegt, dass es sich lediglich um ein Gerücht handeln würde, dass von den staatlichen Medien im Iran in Umlauf gebracht wurde. Es scheint sich hier um wilde Spekulationen zu handeln und niemand weiß genau was passiert ist.

An der Universität in Teheran sollen sich ebenfalls 2.000-3.000 Leute versammelt haben. Angeblich werden sie von Polizei und Bassidj daran gehindert, den Campus zu verlassen.

Die Berichte von Schüssen mehren sich. Die Proteste scheinen sich in Teheran zu verteilen und an mehreren Orten kommt es zu Straßenkämpfen. Es ist von verletzten Bassidj-Milizen die Rede. Immer wieder hört man von Zusammenstößen und Schägereien. Autos werden angezündet. Man hört von ersten Toten und von den ersten Schüssen auf Demonstranten.

Über Twitter wird berichtet, dass vermehrt Personen wegen Handys festgenommen wurden. Das Regime möchte verhindern, dass Informationen nach außen dringen. Außerdem ist davon die Rede, dass Helikopter kochendes Wasser auf die Demonstranten schütten. Berichte über soche Angriffe aus der Luft mehren sich. In einigen Nachrichten wird behauptet, es handle sich nicht um Wasser, sondern um eine Chemikalie.

Die Berichte werden von nun an heftiger. Es wird immer mehr von Verletzten und Toten gesprochen. Die Demonstranten schützen sich mit dem Koran, den sie schützend vor sich halten.

Angeblich hält Mussavi mittlerweile eine Rede in der Jeyhoon-Straße. Er soll erklärt haben: "I am ready to die!"

Im Iran ist es nun 20:20 Uhr. Die Proteste werden fortgesetzt.

Hier wird zwischendurch geupdatet.

Zuvor allerdings eine kurze Einschätzung:

Es scheint so, als seien weniger Leute auf der Straße als in den letzten Tagen. Man hört zum Beispiel von Menschenmengen von 3.000-4.000 Personen, allerdings scheinen sich die Aktivitäten auf mehrere Regionen zu verlagern. Das Regime möchte offenbar verhindern, dass sich eine große Demonstration bilden kann. Der Eindruck, dass es sich um weniger Demonstranten handelt, kann also auch täuschen.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Teheran etwa 8 Millionen Einwohner hat, wenn man die Vororte dazu nimmt sogar fast 15 Millionen. Selbst wenn man also annehmen würde, dass heute 15.000 Personen auf die Straße gegangen sind, dann würde es sich lediglich um 0,2% der Bevölkerung handeln.

Die heutigen Demonstrationen erinnern sehr an die Ereignisse vom sogenannten "schwarzen Freitag" im September 1978. Damals hat der Schah sämtliche Demonstrationen verboten und lediglich der harte Kern der religiösen Opposition (etwa 5.000 Personen) versammelte sich auf dem Zaleh Platz in Teheran. Das Militär schoss damals in die Menge und tötete etwa 100 Demonstranten. Dieses Ereignis beendete die Proteste gegen den Schah nicht, sondern trug dazu bei sie zu intensivieren.

Vor diesem Hintergrund können die heutigen Proteste schon jetzt als ein Erfolg gefeiert werden. Offenbar sind mehr Leute auf die Straße gegangen, als damals und die Kämpfe sind entschieden heftiger. Gemessen an dem, was in den letzten Tagen auf den Strassen von Teheran los war, kann jedoch auch davon ausgegangen werden, dass ein Großer Teil der Opposition zuhause geblieben ist um abzuwarten, wie sich die Lage entwickelt.

Hier noch einige Videos von den heutigen Protesten:









Update:
Nun lese ich, dass europäische Botschaften verwundeten Demonstranten Hilfe anbieten. "The hospitals" heißt es auf einem Beitrag bei Twitter "are a trap".

Es ist von weiteren Protesten in Tabriz, Isfahan, Rasht, Mashhad, Shiraz und Ahwaz zu hören.

Eine Quelle behauptet, es habe sich nun ein Demonstrationszug geformt, an dem sich auch Mussavi beteiligt. Dies ist von anderer Seite noch nicht bestätigt worden.

Man hört den Ruf "Mir Hossein, Ya Hossein", der auch schon in den letzten Tagen zu vernehmen war. Diese Parole vergleicht Mussavi mit dem dritten Imam Hossein, der im Kampf gegen die Truppen des Kalifen Yazid bei der Schlacht in Karbala gefallen ist. Seitdem wird er von den Schiiten als Märtyrer verehrt und an seinem Tod wird am Aschura-Fest im Monat Muharram erinnert. Für die Revolution von 1979 war der Mythos von Hossein ungemein wichtig. Beinahe alle revolutionären Ereignisse wurden als Widerholung der Schlacht von Karbala inszeniert. Einer der wichtigsten Slogans der Revolution war "Jeder Tag ist Aschura!" Der Vergleich mit Hossein stellt Mussavi als einen Führer dar, der die Schiiten den Weg zum Märtyrertum zeige, als eine Autorität, der man absoluten Gehorsam entgegenzubringen habe.

Mussavi hat dazu aufgerufen, die Proteste fortzusetzen und einen Streik zu beginnen, sollte er den Tag nicht überleben.

An mehreren Orten in Teheran werden nun Zusammenstöße gemeldet. Bei Shoreesh liest man, dass ein Bus am Tauhid Platz angegriffen wurde, eine Moschee an der Aserbaidschan-Straße in Flammen steht. Außerdem soll es Gefechte zwischen Demonstranten und Bassidjis bei der Gisha-Straße geben. In Ostteheren blockieren die Demonstranten eine Straße und legen Feuer. Obwohl die Proteste schon seit Stunden anhalten, sieht es so aus als würden sie sich intensivieren.

Nun gibt es auch Videoaufnahmen vom Demonstrationszug. Bei Free Iran Now werden diese Bilder kommentiert: "Nein das sind nicht nur ein paar tausend Leute, wie es vorhin noch in den Tickern hieß!"



Der NIAC-Blog hat die Parolen in einem der Videos übersetzt. Die Massen brüllen: "I welcome death, I welcome death! But not subjugation, but not subjugation!" Das kommt dem Märtyrermist den die Islamisten 1979 geschrien haben verdammt nahe. Wenn man den Spruch wohlwollend liest, könnte man daraus jedoch auch die Forderung nach einem besseren Leben machen und ihn wie den Ausspruch von Dolores Ibárruri lesen: "Lieber stehend sterben, als kniend leben!" Da es im spanischen Bürgerkrieg ebenfalls darum ging den Vormarsch der Faschisten abzuwehren ist dieser Vergleich durchaus angebracht.

Es tauchen Berichte von angezündeten Motorrädern der Bassidj-Milizen auf. Die Demonstranten haben sie von ihren Fahrzeugen gerissen.

Laut Twitter erklingt in ganz Teheran der Schrei "Allah-i-Akhbar" von den Dächern. Auch diese Form des Protestes erinnert an die Revolution von 1979 als die Massen sich wegen einer Ausgangssperre auf den Dächern ihrer Häuser versammelten und auf diesem Weg gegen die Militärregierung des Schahs zu protestieren. Mir wollen diese Parallelen gar nicht gefallen.

Nun kommen weitere Meldungen von Regimetruppen, die in die Flucht geschlagen wurden. Dieses Mal in der Gisha Straße im Norden Teherans.

Über Twitter kommt eine Meldung, dass die kanadische Botschaft verwundeten den Zutritt verweigert. Shame on Canada! Die E-Mail-Adresse der kanadischen Botschaft in Teheran findet sich hier: Teran@international.gc.ca. Außerdem gibt die kanadische Botschaft in Deutschland eine E-Mail-Adresse für Notfälle an: sos@international.gc.ca.

Es gibt mittlerweile ein Statement von Obama, in dem der Iran aufgerufen wird, "alle gewalttätigen und ungerechten Handlungen gegen seine eigenen Bürger" einzustellen.

Die letzten Meldungen von twitter deuten an, dass sich die Situation zuspitzt. Angeblich haben Bassidj-Milizen ein Krankenhaus angegriffen, um verwundete Demonstranten gefangen zu nehmen. Aus einem anderen Krankenhaus kommt die Meldung, dass sich dort 200 Verwundete aufhalten, 30-40 Personen seien gestorben. Weitere 10 Demonstranten sollen von Einheiten der Bassidj erschossen worden sein. Außerdem wird behauptet, dass eine Einheit von mehr als 500 Bassidj-Kämpfern bewaffnet wurde und nun in Teheran bereit steht.

Nun häufen sich Nachrichten, aus denen hervorgeht, dass Journalisten systematisch verhaftet werden. Schon vorher gab es vereinzelt solche Meldungen.

Für mich ist der Tag vorbei.


Die nützlichsten Quellen:
Fotos gibt es hier. Hervorragend sind die Live-Blogs von Andrew Sullivan und Shoreesh. Auch bei der Huffington Post und der NY-Times lohnt es sich vorbeizuschauen.

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